In einer Welt voller Ablenkung, werden Techniken für konzentriertes Arbeiten immer wichtiger. Deep Work ist eine Methode, die entspannter und trotzdem produktiver machen soll. Aber geht das wirklich?
von Alexandra Gojowy
Wer den Flow-Zustand während einer Sporteinheit kennt, weiß, wie erfüllend es ist, voll und ganz in einer Tätigkeit aufzugehen. Wenn wir es schaffen, unseren Fokus auf eine Sache zu richten, können wir nicht nur unser volles Potenzial ausschöpfen, sondern auch die Produktivität steigern und schneller zum Ziel kommen. Und das ganz ohne die Grenzen der eigenen Belastbarkeit zu überschreiten.
Im Arbeitsalltag sind wir mental ähnlich herausfordernden Situationen gegenübergestellt wie im Sportwettkampf. Noch dazu wird unsere tägliche Arbeit fast dauerhaft von Störfaktoren begleitet. Eine eingehende E-Mail, die Push-Notification auf dem Smartphone, ein dringender Anruf, die kurze Zwischenfrage des Kollegen am Nachbartisch. Dass wir biologisch nicht auf Multitasking getrimmt sind, bestätigen mittlerweile viele Wissenschaftler, so auch Christian Montag, der an der Universität Ulm die Abteilung für Molekulare Psychologie leitet. Das Problem: Wer einmal unterbrochen wird, macht fast nie dort weiter, wo er aufgehört hat. Denn das Gehirn braucht einige Zeit, um sich in einen konzentriert-produktiven Zustand einzufinden.
Beschleunigung, und jetzt?
Viele Menschen lieben den Kick der Abwechslung, die Vielfältigkeit eines Jobs und die damit verbundenen Möglichkeiten der Weiterentwicklung. Auch wenn der Joballtag von heute ein stimulierendes Arbeitsumfeld schafft, geht eine wichtige Sache flöten: Unsere Konzentration. Neue Arbeitsmethoden sollen uns deshalb wieder zu mehr Fokus verhelfen und das Zeitmanagement erleichtern, denn von Arbeitnehmern wird heutzutage vor allem Folgendes gefordert:
1. Die Fähigkeit, in sehr kurzer Zeit komplexe Aufgaben zu meistern
2. Die Fähigkeit, Arbeit auf einem hohen, bzw. “Elite-” Level zu produzieren, in Hinsicht auf Qualität und Geschwindigkeit
Cal Newport, Professor für Computer Sciences an der Georgetown Universität, beschäftigt sich intensiv mit dem Problem der ständigen Ablenkung, bei steigendem Anspruch an unsere Konzentration. Er fragt zurecht: „Wenn das Gehirn die Maschine der Kreativ-, Dienstleistungs- und Technologiebranche ist, warum unterbricht man es dann ständig, statt es in Schwung zu bringen?“ Auf diese Fragestellung hin entwickelte er die “Deep Work” Methode, welche wir euch in diesem Artikel vorstellen möchten.
Intensivtraining für das Gehirn
Deep Work verspricht ein tiefes Eintauchen in die eigene Arbeit, was uns produktiver und langfristig entspannter machen soll. So können wir, mit Hilfe von Deep Work Methoden eine Aufgabe nicht nur schneller erledigen, sondern auch zu einem qualitativ besseren Ergebnis kommen.
Nach Newport wird Deep Work benötigt, wann immer man professionelle Aktivitäten ausführt, die einen Zustand von ablenkungsfreier Konzentration erfordern. Solche Aufgaben beanspruchen unsere kognitiven Fähigkeiten bis an ihre Grenze. Dem gegenüber steht “Shallow Work” — Aufgaben, die im Vergleich eher anspruchslos sind und die man problemlos ausführen kann, während man abgelenkt ist. Aufgaben, die eine geringe kognitive Herausforderung darstellen, können laut Newport miteinander kombiniert werden.
Im Grunde geht es darum, Zeiträume zu schaffen, in denen wir vollkommenen Fokus finden können. Cal Newport definierte zu diesem Zweck fünf verschiedene Philosophien:
1. Die Mönchtum Philosophie
Ein essentieller Schritt für konzentriertes Arbeiten, ist die Abschottung von der Außenwelt. Was in einem ersten Schritt radikal klingt, ist die erste Grundlage für fokussiertes Arbeiten nach der Deep Work Methode. Dabei sollten wir versuchen, die Außenwelt so gut es geht auszublenden, um mögliche Ablenkungen zu vermeiden. In dieser Phase verzichtet man auf soziale Kontakte, Mails, Social Media, Telefonate, Gespräche mit Kollegen, Smartphones und andere Faktoren, die man zum Erledigen einer bestimmten Aufgabe nicht dringend benötigt. Auch sollte die Aufgabe nicht durch “Shallow Work” unterbrochen werden. Ähnlich wie ein Mönch im Kloster, zieht man sich zurück, um still seiner Aufgabe nachzugehen, bis diese erledigt ist oder ein bestimmtes Ziel erreicht wurde.
2. Die Bimodale Philosophie
Die Bimodale Philosophie besagt, dass große Aufgaben längere Deep Work Phasen benötigen, die mindestens einen Tag lang andauern und wochenlang anhalten können. Ja, das würde bedeuten, dass man sich über mehrere Tage oder Wochen abschottet, um eine Aufgabe oder ein Projekt erfolgreich zu beenden. Diese Technik eignet sich besonders gut für Projektarbeit, Deadlines oder Prüfungsphasen, da man sich die Deep Work Phasen fest im Kalender eintragen und andere darüber informieren kann. So kann man seinen produktiven Rückzug optimal vorbereiten.
3. Die rhythmische Philosophie
Wenn es nicht möglich ist, sich tagelang abzuschotten, kann man versuchen, sich Zeitblöcke zu setzen, in denen man unabgelenkt an einer Aufgabe arbeitet. Wichtig ist, dass diese intensiven Arbeitsphasen regelmäßig wiederkehren und durch nichts unterbrochen werden. Unter der Woche sollten sich die Deep Work Einheiten wie eine Kette aneinanderreihen. Noch besser: Das Etablieren einer Deep Work Kette am gleichen Zeitpunkt, an 21 Tagen hintereinander. So lange braucht das Gehirn, um eine neue Gewohnheit zu etablieren. Für viele kommt natürlich das Wochenende dazwischen, weshalb sich die rhythmische Philosophie besonders für Studenten und Selbstständige eignet.
4. Die journalistische Philosophie
Journalisten sind es gewohnt, auf Knopfdruck Höchstleistungen zu erbringen, denn oft müssen sie schnell reagieren und noch dazu Deadlines einhalten. Mit etwas Übung kann das Gehirn tatsächlich lernen, wie ein “Lichtschalter” zu funktionieren. So kann man am Anfang des Tages eine Deadline simulieren und sich ganz konkrete Ziele setzen, die am Ende des Arbeitstages erledigt sein müssen. Wichtig ist, nicht nach den Sternen zu greifen, sich aber trotzdem zu fordern. Wer es sich zum Ziel setzt, eine Seite zu schreiben, wird wahrscheinlich nicht mehr als eine Seite schreiben, auch wenn die Zeit mehr erlaubt hätte. Den Tag zu planen und sich realistische Ziele zu setzen ist ebenso wichtig, wie die Umsetzung der einzelnen Aufgaben.
5. Erholung und Belohnung!
Am Schluss der vielleicht wichtigste Schritt auf dem Weg zum konzentrierten Arbeiten: Pausen einlegen. Egal, ob die Deep Work Einheit wenige Stunden oder sogar Tage in Anspruch genommen hat, dass Gehirn hat sich anschließend eine Pause verdient. Phasen der Erholung und Regeneration sind essentiell, um neue Energie zu tanken und das Gehirn auf die nächste produktive Phase vorzubereiten. Es gibt verschiedene Wege der Entspannung, wie zum Beispiel ein Bad, Meditation, Sport, ein Abend mit guten Freunden oder ein einsamer Spaziergang durch die eigene Nachbarschaft. Hauptsache ist, wir schalten richtig ab, denn das Gehirn funktioniert wie ein Muskel: Wer anspannt muss anschließend auch entspannen, um vollständig zu regenerieren.
Deep Work ist nur eine Methode, die konzentriertes Arbeiten erleichtern kann. Achtsamkeitstraining am Arbeitsplatz hat einen ähnlichen Ansatz, denn es hilft dabei, den Fokus auf eine Sache zu lenken und die Aufmerksamkeit gezielt auszurichten. Bei regelmäßiger Übung können wir diese Fähigkeit jederzeit abrufen, auch während der Arbeit. Während Achtsamkeit am Arbeitsplatz unsere Konzentration stärkt, kann sie während der Erholungsphase auch für die nötige Entspannung sorgen.
Fakt ist, dass sich die moderne Arbeitswelt so schnell nicht entschleunigen wird. Diesem Prozess stehen wir aber nicht hilflos gegenüber. Methoden wie Deep Work und Achtsamkeitstraining sind ideale Ergänzungen für den Berufsalltag, denn sie können uns dabei unterstützen, konzentrierter zu arbeiten, wenn nötig auch mal abzuschalten und am Ende des Tages den Feierabend so richtig zu genießen.